Biografiearbeit einer Enkelin

Gerade lese ich fasziniert einen langen Artikel in der ZEIT über die Ermordung deutscher Soldaten durch französische Widerstandskämpfer im Jahr 1944. Die Soldaten wurden gefangengenommen und mitgenommen, aber es hätte die Widerstandskämpfer überfordert, sie rund um die Uhr zu bewachen und genug Essen heranzuschaffen, daher kam von oben der Befehl, die Soldaten zu erschießen. Ein Kriegsverbrechen, ganz klar, das historisch noch gar nicht richtig aufgearbeitet ist, weil alle Beteiligten rund 80 Jahre lang geschwiegen haben.

Was mich fasziniert ist dabei der Bericht über die Enkelin eines Soldaten. Sie hatte ihren Großvater nie kennengelernt, ist ja erst danach geboren.

Johannes Niewels war Nebenerwerbslandwirt, er hatte drei Kinder, der älteste Sohn hieß wie er. Nun erzählen die Enkel, dass ihr Großvater als Landwirt mit mehreren Kindern eigentlich gar nicht in den Krieg gemusst hätte. Er sei erst 1942 eingezogen worden, mit 37. In der Familie habe es immer geheißen, dass er Streit mit einem Nazi gehabt habe. Zwei Tage später sei er weg gewesen.

Mehr als 20 Jahre lang … habe ihre Großmutter Abend für Abend am Fenster ihres Schlafzimmers gestanden und auf ihren Mann gewartet. Die Großmutter starb 1966, ohne mit Sicherheit zu wissen, dass sie Witwe war.

1971 wurde der Familie mitgeteilt, dass Johannes Niewels in Frankreich verstorben sei. In Berneuil sei er bestattet. Aber Partisanen, eine Gefangenschaft, eine Exekution? Die drei Enkel sagen, davon hätten sie nie etwas gehört.

Die Enkelin hat die Feldpostbriefe und Fotos ihres Großvaters sorgfältig aufbewahrt und daraus ein Fotobuch gemacht:

Die Briefe, die der Gefreite Johannes Niewels an seine Frau Agathe schrieb, genannt Atti, lagen jahrzehntelang in einer Kommode auf dem Dachboden des Hauses in Meerhof. 2010 fotografierte Birgit Mertens sie, entzifferte sie, tippte sie ab. Dann konzipierte sie ein Fotobuch, ein Geschenk für ihre Mutter, die heute nicht mehr lebt – das jüngste Kind von Johannes Niewels.

20. März 1944: Nun sitze ich hier so ganz alleine im Bunker. Ein Kamerad ist auf Wache und die zwei anderen sind bei den anderen Kameraden in ihren Bunkern und spielen Karten. Es ist mir so richtig einsam und verlassen ums Herz.

12. Mai 1944: Ja wir müssen uns auf den nächsten Urlaub vertrösten, liebe süße Atti, noch besser wäre natürlich wenn das Kriegsende schon recht bald käme und wir uns gesund für immer in die Arme fallen könnten.

2. Juni 1944: Die Augen tun mir weh, liebe Frau, die Marquis haben uns wieder die Luftleitung kaputt gemacht, ich musste bei der Kerze schreiben.

Mit jedem Brief glaubte sie ihren Großvater besser zu kennen. Als das Buch fertig war, fuhr sie nach Frankreich, von einem Ort, den er erwähnt hatte, zum nächsten.

Dann erfährt die Enkelin davon, dass der letzte noch lebende Widerstandskämpfer sein Schweigen gebrochen und von der Erschießung berichtet hat. In dem Artikel wird dann erzählt, dass sie dem letzten noch lebenden Augenzeugen wichtige Fragen stellen konnte und auch Antworten bekam. Die Geschichte ist wirklich berührend, wer es selbst lesen will, hier ist noch einmal der Link zum Artikel

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