Die Eltern und die eigene Biografie

Nach dem faszinierenden Bericht über ein Kriegsverbrechen und die Enkelin, die sich auf Spurensuche nach ihrem Großvater gemacht hat, entdecke ich gleich den nächsten interessanten Artikel zum biografischen Erleben: Peter Tauber (er war von 2013 bis 2018 Generalsekretär der CDU) erzählt, dass er in diesem Jahr innerhalb von drei Monaten gleich beide Eltern verloren hat.

Leider ist der Artikel hinter einer Bezahlschranke, daher hier eine kurze Zusammenfassung und ein paar Zitate:

Peter Taubers Mutter war herzkrank, und das schon länger: „Dann kam eine Corona-Infektion, ein weiterer Herzinfarkt, und am Ende reichte ihre Kraft nicht mehr. Sie starb nach mehreren Wochen im Krankenhaus. Wir waren jeden Tag bei ihr gewesen, hatten gehofft, sogar schon nach einem Platz für eine Reha gesucht. Vergebens.“

Am Tag nach der Beerdigung musste der Vater mit dem Notarzt ins Krankenhaus. Durch die Sorge um die Mutter ist sein gesundheitlicher Zustand nicht so beachtet worden. Danach wurde klar, dass es ihm richtig schlecht geht, die Diagnose der Ärzte lautete: Bauchspeicheldrüsenkrebs. Die Ärzte im Krankenhaus gaben der Familie die Hoffnung, dass mit einer Chemo die Krebserkrankung eingedämmt oder verzögert werden könnte. Nur der Hausarzt sagte ehrlich, aufgrund einer vorherigen Krebserkrankung würde dieser Verlauf eher kurz sein. Er sollte recht behalten: Weniger als 12 Wochen nach der Mutter starb auch der Vater, er wurde nur 80 Jahre alt. Wie mit dieser Situation umgehen, wenn kurz hintereinander beide Eltern sterben? Peter Tauber schreibt:

Jemand sagte nach dem Tode meiner Mutter, wissend um die Erkrankung meines Vaters, zu mir: „Wenn Dein Vater gestorben ist, dann bist Du kein Kind mehr.“ So ist es. Und dieser Satz ist mehr als eine Binsenweisheit. Darin liegt viel. Man verliert etwas unwiederbringlich. Und es ist durch nichts zu ersetzen. Sicherheit, behütet sein, Gewissheit. Man wird sich dessen erst bewusst, wenn es passiert ist. Vorher bleibt es unverständlich.

Peter Tauber erzählt dann, dass die Geschwister ihren Vater bis zum Schluss versorgen wollten. Einkaufen, in die Apotheke, zum Arzt, kochen, bei ihm sein, die Nachtwache übernehmen – es funktionierte, aber es wurde immer schwieriger, vor allem, weil die Kräfte schnell nachließen, weil es immer mehr ein Pflegejob wurde, der belastend war, weil es doch der eigene Vater war, derjenige, der immer stark war, der für die Kinder da war – und dieser Wechsel der Rollen und auch die Hilflosigkeit angesichts des Krankheitsverlaufs war schwer zu verkraften.

Einmal nahm mein Vater seine ganze Kraft zusammen, zog sich schick an, rasierte sich selbst, um mit uns etwas zu besprechen, was ihm wichtig war. Einmal fuhren wir noch zu den Vier Fichten, ein Ort im Büdinger Wald, den er sehr mochte. Das war aber die Ausnahme. Der Tag war von medizinischen Fragen und Fragen der Pflege dominiert.

… meine Hilflosigkeit, daran etwas ändern zu können, schmerzte noch mehr. Ich konnte da sein. Mehr nicht. War das genug? Er sagte einmal zu uns, wir hätten alles richtig gemacht. Mir das selbst zuzusprechen und diesen Satz anzunehmen, war und ist nicht leicht.

Am Ende mussten sich die Geschwister eingestehen, dass sie nicht weiter konnten. Glücklicherweise konnte der Hausarzt ein Zimmer in einer Palliativstation vermitteln. Dort wurde er liebevoll aufgenommen und was besonders gut war:

Wir waren wieder seine Kinder und mussten keine Pflegedienste tun. Wir konnten Abschied nehmen. Und einfach bei ihm sein, mit ihm sprechen und gemeinsam fernsehen.

Peter Tauber erzählt dann, wie gut diese sehr liebevolle und auch würdevolle Form des Abschiednehmens war. Es ist schön zu lesen, wie präsent sein Vater für ihn noch ist – und sehr berührend fand ich auch den Ausblick ganz zum Schluss:

Oft genug denke ich nach einem beruflichen Termin noch, dass ich jetzt gerne wissen würde, was er denkt. Wenn ich ihn früher anrief, dann wusste ich oft schon, was er mir raten würde. Und doch ist das jetzt anders. Seine Rufnummer ist noch in meinem Kurzwahlspeicher. Er wird nicht rangehen, sollte ich anrufen. Aber ich glaube an ein Wiedersehen.

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